Wir leben in Zeiten der Inklusion. Jedes Kind wird auf seinem Stand abgeholt und erhält die gleichen Chancen in unserem Schulsystem. Ganz egal, ob es hochbegabt ist oder eine andere, besondere Förderung benötigt: Unser Schulsystem ist für alle da.  So viel zur Theorie. Das ist es, was die Politik uns erzählt. Sie erzählt uns nicht viel darüber, welche Schwierigkeiten das für Schulen und Lehrkräfte mit sich bringt, die noch nie in ihrem Leben etwas über Inklusion gelernt haben und nichts über den Umgang mit Kindern wissen, die in irgendeine Richtung besondere Förderung benötigen. Denn in den wenigsten Fällen ist dies Teil des Studiums – und war es schon gar nicht, als ich noch studiert habe. Der Umgang mit autistischen Kindern ist für viele Lehrkräfte Neuland.

So kam ich, völlig ahnungslos, aus meinem Studium an meine Referendariatsschule, bekam schon im Ref meine erste eigene Klasse und sah mich von heute auf morgen mit besonderen Schülern konfrontiert. Vielleicht ein bisschen Hintergrundwissen für dich: Ich arbeite seitdem an einem staatlichen Gymnasium, einer  Schwerpunktschule für Hochbegabtenförderung und seit neustem auch für Autismus.

Dabei muss noch gesagt werden, dass es sich bei mir in den meisten Fällen um den Typ des Asperger-Autismus handelt. Und ich sage dir: Es ist toll. Es bedeutet Arbeit. Unheimlich viel Arbeit. Und es ist gleichzeitig so bereichernd. Ich könnte dir jetzt so viele Anekdoten erzählen. Geschichten, die mich berührt haben, mich zum Staunen gebracht haben, die mir gezeigt haben, wie wertvoll die Arbeit mit autistischen Kindern ist. Denn um diese soll es heute gehen.

Viel wichtiger als Geschichten finde ich es aber, dich an meinem kleinen, aber feinen Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen und ein paar wirksame Tipps an die Hand zu geben, die mir geholfen haben. Manchmal jedenfalls. Denn kein Kind ist gleich und was bei einem Kind Wunder wirken kann, kann beim zweiten wirkungslos bleiben.

Die Idee zum heutigen Beitrag hatte ich schon lange – als @frau.daub also dazu aufrief, sich an ihrem #fraudaubsadventskalender2019 zu beteiligen, habe ich nicht lange gezögert und darf meinen Beitrag heute, am 17.12.2019, zu ihrem Adventskalender beitragen. Danke für diese tolle Chance bei einem so wichtigen Thema Schaut gerne mal auf ihrem Instagram-Profil vorbei – es gibt bereits viele tolle Beiträge!

Und für diejenigen, die sich mehr mit dem Thema beschäftigen möchten, wartet am Ende eine kleine Verlosung

10 Tipps für den Umgang mit autistischen Kindern im Schulalltag

Tipps für dich selbst

Tipp 1: Jeder Mensch ist individuell. Dass wir alle unterschiedlich sind, ist kein Geheimnis. Was dies aber im Fall von autistischen Schülern heißen kann, unterschätzen viele. Oft erscheint es wie die Nadel im Heuhaufen. Man probiert aus, scheitert, verwirft. Und probiert etwas Neues. Immer wieder. Und wieder. Aber ich sage dir: Was für ein tolles Gefühl ist es, wenn deine Mühe von Erfolg gekrönt wird! Es ist unvergleichlich.

Tipp 2: Behalte einen langen Atem. Anschließend an Tipp 1 ein ganz wichtiger Hinweis: Der Prozess, den richtigen Weg zu finden, kann langatmig sein und ist es häufig auch. Und ja, manchmal ist es wirklich entmutigend, wenn man sich viel Mühe gibt und merkt, es fruchtet nicht. Wichtig: Nicht aufgeben, kreativ bleiben und das Ganze nicht persönlich nehmen! Es hat nichts mit dir und deinen Fähigkeiten als Lehrkraft zu tun, wenn es dauert bis du den richtigen Weg für deinen Schüler und dich gefunden hast.

Tipp 3: Hol dir Experten ins Boot. Die wenigsten haben sich bereits ausgiebig mit dem Thema Autismus beschäftigt. Es ist nun mal kein offizieller Bestandteil des Studiums, obwohl es das (aus meiner Sicht) sein sollte. Viele Schulen haben deshalb Experten in Form eines Schulsozialarbeitsteams vor Ort. Wenn du an deiner Schule solch eine Situation vorfindest, ist meine ganz klare Empfehlung: Baue Kontakt auf, rede mit den Experten an deiner Schule. Hole dir Tipps – vielleicht auch von Kollegen, die den Schüler schon kennen und ihre Erfahrungen mit dir teilen könnten. Oft werden auch Konferenzen einberufen, in denen über das Vorgehen gemeinsam mit Schüler und Eltern beraten wird, um zu schauen, wo und wie man am besten helfen kann. Schöpfe aus dem Vollen – es kommt dir zu Gute und spart dir Zeit und Kraft, die du in deine Schüler stecken kannst!

Tipp 4: Lies dich ein. Nicht immer, aber häufig, existiert ein Nachteilsausgleich, der besondere Regelungen für deinen Schüler vorsieht. Diese können z.B. Klassenarbeiten, Unterrichtsgeschehen oder auch außerschulische Aktivitäten und Zusatzangebote beinhalten. Ein Blick in solch einen Nachteilsausgleich ist wichtig. Nicht nur, weil er dir Hilfestellungen und Anregungen bietet, Hintergrundinformationen liefert und Dinge auf den Weg gibt, die du im Unterricht oder Umgang beachten solltest. Auch, weil die Einhaltung dieser Regelungen für dich verpflichtend sind. Zuständig für einen Nachteilsausgleich ist übrigens häufig wiederum die Schulsozialarbeit (siehe Tipp 3). Falls kein Nachteilsausgleich existiert, kann auch ein Blick in die Schülerakte nicht schaden.

Tipp 5: Scheitern ist okay. Das ist eine Erkenntnis gewesen, die mich am meisten Zeit gekostet hat und mit der es mir nicht leicht gefallen ist, umzugehen. Du hast alle Register gezogen, mit Experten geredet und alles Erdenkliche versucht? Nicht immer ist man der richtige Lernbegleiter oder die richtige Lehrkraft für einen Schüler – das gilt prinzipiell. Tu einfach weiterhin dein Bestes, sei da und bleibe Ansprechpartner, wenn es gewünscht ist – und verzeih dir, wenn es einfach nicht sein soll.

Tipps für den Unterricht

Im Folgenden gebe ich dir ein paar Hinweise an die Hand, bei denen ich häufig Wirkung erlebt habe. Dass dies nicht immer der Fall sein muss (und auch nicht immer notwendig sein muss!), hat vermutlich Tipp 1 bereits deutlich gemacht.

Tipp 6: Nutze klare Formulierungen. Viel Text und Aufgabenstellungen, die, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, nicht konkret genug sind, können bei schriftlichen Arbeiten das Aus für deinen Schüler bedeuten. Vielleicht ein kleines Beispiel. Der in der Mathematik allseits bekannte Operator Berechne heißt tatsächlich eines: Etwas soll berechnet werden. Schön und gut. Dass ein Rechenweg angegeben und das Ganze formal sauber festgehalten werden muss, geht aus dieser Formulierung nicht hervor. Dabei tut es gar nichts zur Sache, ob man die Bedeutung des Operators im Unterricht bereits 1000 Mal verdeutlicht hat. Für autistische Kinder kann das ein echtes Problem darstellen, denn ganze Klassenarbeiten werden wegen solcher Unklarheiten teilweise in drei bis fünf Zeilen gelöst und abgegeben. Wenn da ein Ergebnis steht, ist es ja offensichtlich, dass es „berechnet“ wurde.

Was kannst du also tun? Ich habe in Klassenarbeiten tatsächlich alternative Formulierungen verwendet und Aufgaben in kurzen Sätzen und mit ganz klaren Anweisungen versehen. Das könnte dann z.B. so aussehen: „Berechne die Lösungen der Aufgaben. Schreibe deinen vollständigen Rechenweg und die Lösung auf.“ Später bin ich auch dazu übergegangen, auf der 1. Seite meiner Arbeiten eine Art Checkliste einzufügen, die meinem Schüler dann als eine Art Gedankenstütze gedient hat. Auch Hinweise wie ordentliches Aufschreiben oder dass es bei fehlenden Rechenwegen Punktabzug gibt, habe ich dort vermerkt.

Tipp 7: Biete Alternativen bei graphomotorischen Problemen. Es ist nicht so selten, dass autistische Kinder auch graphomotorische Einschränkungen haben, die sich beispielsweise in einer schlecht leserlichen Handschrift oder Problemen bei Zeichnungen und Skizzen zeigen können. In dem Fall kann es sich lohnen nach Alternativen Ausschau zu halten. Nichts ist blöder, als wenn in Klassenarbeiten nichts oder nur wenig geschrieben wird, weil das Schreiben einfach als unheimlich anstrengend empfunden wird und der Schüler sich für jedes einzelne Wort stark konzentrieren muss. In der heutigen Zeit, in der Notebooks keine Seltenheit sind, ist es relativ unproblematisch, auf diese Hilfsmittel zurückzugreifen. Sollte sich das als gewünschte Alternative herausstellen, denn nicht immer möchte der Schüler das auch, macht es Sinn, Rücksprache zu halten und die Regelung im Nachteilsausgleich verankern zu lassen.

Tipp 8: Bleib mit den Eltern im Gespräch. Schule ist nur ein Aspekt des Alltags eines Schülers. Um Perspektiven und Blickwinkel zu öffnen, neue Ideen hervorzubringen und den Schüler rundum betreut zu wissen, ist die Elternarbeit ein hervorragendes Mittel. Wer kennt deinen Schüler besser und länger als die eigenen Eltern? Eltern können gezielt und in anderem, einem entspannten, Umfeld, nachhaken und Probleme aufdecken. Sie können nachfragen, warum sich in Situationen auf eine bestimmte Art verhalten wurde, warum ein Vorschlag abgelehnt wurde oder was eine bessere Möglichkeit wäre. Und das, ohne dass sich der Schüler durch Lehrkräfte unter Druck gesetzt fühlt. Investiere also in die Elternarbeit!

Tipp 9: Wähle den Platz im Klassenraum mit Bedacht. Ablenkung und unruhige oder laute Nachbarn können das Wohlbefinden deines Schülers immens stören. Die Reaktionen auf solche Störungen können ganz unterschiedlich sein. Von einer kompletten Abschottung, z.B. in Form eines Verkriechens unter dem Tisch oder eines Ablegen des Kopfes auf dem Tisch, bis hin zu Agressivität sind zahlreiche Reaktionen möglich. Es ist also für das Unterrichtsgeschehen wichtig, schnell zu einer Einschätzung zu kommen, ob ein Sitzplatz geeignet für deinen Schüler ist oder nicht. Für mich war es immer der schnellste und beste Weg, den Schüler einfach ab und an zu fragen, ob ihm sein Sitzplatz gefällt oder er lieber woanders sitzen würde. Ich bin jemand, der sehr stark auf Kommunikation setzt und kann das auch nur empfehlen. Einfach mal nachfragen kostet ja nichts

Tipp 10: Sei vorsichtig mit Körperkontakt. Was nett gemeint ist, kann ganz schön nach hinten losgehen. Ein Klopfen auf die Schulter, um Anerkennung zu verdeutlichen, eine Berührung am Arm, wenn sich dein Schüler abschottet – all das ist nett gemeint. Häufig mögen autistische Kinder Berührungen aber nicht sehr – ganz egal, wie nett sie gemeint sind. Mein Tipp deshalb: Bis du deinen Schüler nicht gut genug kennst, halte dich lieber zurück. Setze eher auf Sprache als auf Berührungen und seien sie noch so klein. Später, wenn ihr euch gut kennt und du weißt, wie du deinen Schüler und Situationen einschätzen kannst, kannst du das immer noch ändern, wenn es zweckdienlich ist.

So, das waren erstmal meine 10 Tipps für dich für den Umgang mit autistischen Kindern in der Schule. Sie sind selbstredend nicht vollständig, nicht allgemeingültig und bilden nur einen geringen Teil meiner Erfahrungen ab. Und auch, wenn sich das jetzt viel und für manch einen auch erschreckend anhört: Ich kann dir nur empfehlen, dich an die Thematik heranzutrauen. Ich möchte keine einzige Erfahrung missen, die ich mit meinen Schülern gemacht habe. Die Arbeit mit autistischen Kindern empfinde ich persönlich als sehr bereichernd, obwohl sie mit viel zusätzlicher Arbeit verbunden ist. Lass dich auf das Abenteuer ein

Dass das persönliche Empfinden immer unterschiedlich ist, ist mir bewusst. Deshalb bin ich an deinen Erfahrungen mit autistischen Schülern interessiert. Hast du viele positive oder negative Erfahrungen gemacht? Wurdest du im Studium oder anderweitig gut vorbereitet? Oder hast du vielleicht sogar tolle Tipps, die erfolgsversprechend sind?  Ich bin gespannt auf deine Antwort

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